Gefährderansprachen vor EM: Gericht prüft Klage von Leipziger Fußballfans

Im Vorfeld der Fußball-EM bekamen 223 Fans von Leipziger Clubs Post von der Polizei: Sie seien in der „Datei Gewalttäter Sport“ vermerkt und sollten sich gewaltfrei verhalten. Doch durfte die Polizei diese Schreiben überhaupt verschicken?

Wegen Eintragungen in der „Datei Gewalttäter Sport“ und möglichen „konkreten polizeilichen Erkenntnissen“ verschickte die Polizeidirektion Leipzig vor und während der Fußball-Europameisterschaft Gefährderansprachen an 223 Fans des 1. FC Lok, der BSG Chemie, RB Leipzig und anderer Vereine. Gegen die Maßnahme sind am Verwaltungsgericht Leipzig drei Klagen eingegangen.

Waren Gefährderansprachen der Polizei rechtswidrig?

Das geht aus einer Antwort des sächsischen Innenministeriums auf eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) hervor. Das Verwaltungsgericht bestätigte auf LVZ-Nachfrage, dass drei Betroffenen am 17. Mai die Anschreiben erhielten und am 30. Mai Klage einreichten. Sie halten die Gefährderansprachen für rechtswidrig und wollen gerichtlich prüfen lassen, ob die Polizeidirektion Leipzig die Schreiben an sie verschicken durfte.

Mirko Bernhöft ist Richter am Verwaltungsgericht, stellvertretender Pressesprecher und kennt den Inhalt der Gefährderanschreiben: „Sollten Sie während dieser Zeit durch rechtswidriges Verhalten in den Fokus der Ermittlungsbehörden geraten, würden Sie konsequent verfolgt, um das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland, der Veranstaltungsorte und der Veranstaltung zu schützen.“

Die Polizeidirektion Leipzig würde dies mit strafrechtlich relevantem Verhalten begründen, mit dem die Kläger bei vergleichbaren Veranstaltungen wie der Fußball-EM in Deutschland aufgefallen seien. Deshalb würden diese der gewalttätigen Fußballszene zugerechnet.

Die Verfahren befinden sich laut Bernhöft in einem frühen Stadium, so stünde etwa die Klagebegründung noch aus. Zum Fanlager der Kläger lägen dem Gericht noch keine Informationen vor.

Fanhilfe der BSG Chemie Leipzig kritisiert Gefährderansprachen

Das Rechtshilfekollektiv der BSG Chemie Leipzig veröffentlichte Anfang Juni jedoch eine Stellungnahme zu den Gefährderanschreiben, in denen Klagen von drei betroffenen Fans des Vereins vor dem Verwaltungsgericht angekündigt wurden. Die Fanhilfe kritisierte in der Mitteilung die „Datei Gewalttäter Sport“, auf deren Grundlage die Fußballfans von der Polizeidirektion angeschrieben wurden: „Wildpinkler geraten ebenso in die Datenbank, wie Menschen, die bei einer Identitätsfeststellung ihre Personalien vorzeigen mussten.“

Die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel, die Auskunft zu den Gefährderansprachen vom sächsischen Innenministerium verlangte, hält die Begründung der Polizeidirektion Leipzig für intransparent: „Was sind denn die konkreten polizeilichen Erkenntnisse? Geht es um die Eskalation mit der Polizei beim Derby vor zwei Jahren? Es ist vollkommen unklar.“ Außerdem hätte sie aus dem Fanumfeld von Chemie Leipzig immer wieder gehört, dass sich die Anhänger der BSG nicht für die EM interessieren würden.

Ob die Beamten mit konkreten gewalttätigen Aktionen der Empfänger der Gefährderanschreiben rechnete, ließ die Polizeidirektion Leipzig auf Nachfrage unbeantwortet.


Daniel Klein Sächsische Zeitung

Auch Dynamo-Fans erhielten vor der Fußball-EM Briefe von der Polizei

Die Polizei wollte Gewalt während der EM verhindern. Dafür verschickte sie auch 288 Gefährderanschreiben an sächsische Fans – die meisten sympathisieren mit Leipziger Vereinen.

Im Zuge der Fußball-EM in Deutschland erhielten 288 sächsische Fans sogenannte Gefährderanschreiben durch die Polizei. Das geht aus einer Antwort von Innenminister Armin Schuster (CDU) auf eine Kleine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (Die Linke) hervor, die am Montag (15. Juli) veröffentlicht wurde.

Hintergrund dieser Schreiben ist, den Anhängern zu signalisieren, dass sie unter Beobachtung stehen, um sie von Straftaten abzuhalten. Rechtliche Grundlage hierfür ist das Polizeigesetz. In dem heißt es: „Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass eine Person in einem überschaubaren Zeitraum die öffentliche Sicherheit stören wird, kann die Polizei diese Person über die geltende Rechtslage informieren und ihr mitteilen, welche Maßnahmen die Polizei im Fall einer bevorstehenden oder erfolgten Störung ergreifen wird. Zu diesem Zweck kann die Polizei die Person ansprechen (Gefährderansprache) oder anschreiben (Gefährderanschreiben).“

Die Auswahl der angeschriebenen Personen erfolgte laut Schuster auf Grundlage der „Datei Gewalttäter Sport“, in der seit 1994 bundesweit Personen erfasst werden, gegen die im Zusammenhang vor allem von Fußballspielen Ermittlungsverfahren eingeleitet oder Platzverweise ausgesprochen worden. Zudem habe es zum Teil auch konkrete Anhaltspunkte gegeben, die diese Präventionsmaßnahme rechtfertigten.

In der Antwort des Ministers werden die angeschriebenen Fans nach den zugehörigen Polizeidienststellen sowie Vereinen aufgeschlüsselt. Demnach erhielten 122 Anhänger des Regionalligisten 1. FC Lok Leipzig Briefe von der Polizei, bei Ligakonkurrent Chemie waren es 75, gefolgt von Drittligist Dynamo Dresden (46), Chemnitzer FC (11), Erzgebirge Aue (8) und RB Leipzig (3). 23 Fans wurden keinem Verein zugeordnet.

In drei Fällen aus dem Raum Leipzig wurden Rechtsmittel beim Verwaltungsgericht eingelegt. Die Verfahren dauern laut Schuster noch an. Meldeauflagen und Aufenthaltsverbote durch sächsische Polizeidienststellen im Zusammenhang mit der EM sind nicht bekannt, so Schuster.